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Krisendiagnose: Unterschied zwischen den Versionen

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Prof. Dr. Stefan Müller
 
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[[Kategorie: Forecast]]

Aktuelle Version vom 30. Dezember 2015, 21:52 Uhr

Zusammenfassung

Die Krisendiagnose erfolgt bei Berührung von festgelegten Schwellenwerten bestimmter Indikatoren für negative Entwicklungen eines Unternehmens und stellt die Identifikation von Krisensituationen dar. Sie ist neben der Analyse von Krisensituationen, der Entwicklung von Strategien zur Bewältigung einer Krise sowie der Einleitung und Verfolgung von Gegenmaßnahmen Teil des Krisenmanagements, welches den systematischen Umgang mit Krisensituationen bezeichnet. Die Krisendiagnose ist darüber hinaus auch integraler Bestandteil des Risikomanagements Risikomanagementsystem (RMS) .

Allgemeine Krisendefinition

Allgemein bezeichnet Krise eine schwierige Situation, die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt. Problem ist, dass der Wendepunkt erst ex-post als solcher zu erkennen ist. Eine Krise ist dabei per se noch nicht negativ, da das gefährliche Ereignis noch nicht endgültig eingetreten und daher noch abwendbar ist. So gesehen verkörpern Krisen durchaus auch Chancen für eine weitere erfolgreiche Unternehmensentwicklung (Risiko- und Chancencontrolling). Dabei hat die Definition der Schwellenwerte in Abhängigkeit von der notwendigen Reaktionszeit für die Abwendung einer negativen Beeinträchtigung des Unternehmensziels zu erfolgen. Zu unterscheiden sind Unternehmenskrisen, die den Fortbestand des Unternehmens (Going Concern-Prinzip) gefährden, sog. „Überlebenskrisen“, und Krisen i.w.S., die zwar auch negative Folgen auf die Unternehmensentwicklung haben, aber eine unmittelbare Gefährdung für den Unternehmensfortbestand noch nicht darstellen. Letztere sollen hier nicht weiter verfolgt werden (Abweichungsanalysen). Von einer Überlebenskrise kann immer dann gesprochen werden, wenn die Gefahr besteht, dass eine Situation

· sich so zuspitzt, dass sie schwer beherrschbar wird,

· den Argwohn der Massenmedien oder der Regierung auf sich zieht,

· die reguläre Geschäftstätigkeit beeinträchtigt (Fink 1986, S. 15).

Für eine Unternehmenskrise charakteristisch ist eine dringende Notwendigkeit von Handlungsentscheidungen, um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern, wobei es die Entscheidungsträger oft mit unvollständiger oder verfälschter Information zu tun haben und durch den Anstieg an Unsicherheit, Dringlichkeit und Zeitdruck eine gewisse Bedrohung empfinden. Oft reichen in Krisensituationen die gewohnten Standardverhaltensmuster und Strategien sowie das vorhandene Wissen und die Ressourcen nicht aus, um aus der Krise wieder herauszukommen. Zusätzliche Brisanz bekommt die Krisendiagnose und das gesamte Krisenmanagement für die Geschäftsführung auch durch gesellschaftsrechtliche Vorschriften und das StGB, wo erhebliche strafrechtliche Konsequenzen und finanzielle Gefahren durch eigene Haftung (Haftung des Vorstands) drohen. Bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit kann sich der Geschäftsführer als Kaufmann nach § 283 StGB strafbar machen, wenn er in verschiedenen, definierten Fällen den Gepflogenheiten eines ordentlichen Kaufmanns zuwiderhandelt. Auch eine vorsätzliche oder fahrlässige Insolvenzverschleppung (Insolvenz) führt nach § 84 GmbHG zu persönlichen Sanktionen. Daher hat der Geschäftsführer gerade in der Krise die Beachtung seiner Pflichten genau zu dokumentieren (Organisationspflichten des Vorstands).

Rechtliche Krisendefinition: Kreditunwürdigkeit

Im Zentrum des Krisenbegriffs außerhalb der gesetzlichen Insolvenzauslösetatbestände nach der Insolvenzordnung (InsO) steht die Existenz einer Kreditunwürdigkeit. Nach der Rechtsprechung des BGH (z.B. BGH vom 27.11.1989- II ZR 210/88 in: BB 1990, S. 87 ff. m.w.N.; BGH vom 04.12.1995- II ZR 281/94 in: DStR 1996, S. 553; BGH vom 12.07.1999- II ZR 87/98 in: DB 1999, S. 1894) ist eine Kreditunwürdigkeit durch folgende Kriterien gekennzeichnet:

· Fehlende Kapitalbeschaffungsmöglichkeit zu banküblichen Bedingungen (Werden Kredite gewährt, ohne dass die zur banküblichen Absicherung erforderlichen Sicherheiten gestellt werden können, so deutet dies auf eine vorhandene Kreditunwürdigkeit hin.) Nach der BGH-Entscheidung vom 18.11.1991 (II ZR 258/90 in: DStR 1992, S. 402 f.) kann als Maßstab für die Kreditentscheidung nicht das konkrete Verhalten einer bestimmten Person herangezogen werden, sondern es kommt auf die Sicht eines objektiv denkenden Dritten an. Dieser letzte Aspekt ist insbesondere in der aktuellen Finanzkrise relevant, in der von Seiten der Kreditinstitute eine Verknappung des Angebots an Firmenkrediten zumindest vermutet werden kann. Letztlich führt aber auch diese Verschärfung der Vergabebedingungen aus Seiten der Kreditinstitute zu einer Kreditunwürdigkeit, da den Unternehmen zumindest kurzfristig kaum Alternativen bleiben.

· Verlust des Stammkapitals: Kreditunwürdigkeit wird bei einer Unterkapitalisierung angenommen, die durch einen Verlust von mehr als der Hälfte des Stammkapitals gekennzeichnet ist. Als weitere Indizien für die Annahme einer Kreditunwürdigkeit nennt der BGH (BGH vom 7.11.1994-II ZR 8/93 in: ZIP 1995, S. 125 f.; BGH vom 04.12.1995- II ZR 281/94 in: DStR 1996, S. 55)

· das Vorhandensein von erheblichen Zahlungsrückständen, insbesondere ausstehende Löhne, Gehälter, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, die Höhe der Überschuldung bei der später notwendigen Eröffnung eines Insolvenzverfahrens und die zeitliche Nähe zum Zusammenbruch des Unternehmens.

· Ausfall von Forderungen gegenüber maßgeblichen Unternehmensschuldnern.

· Fehlende Anschlussaufträgen zur Liquiditätssicherung.

Spätestens das letzte Indiz verlangt eine dauerhafte prognostische Betrachtung der weiteren Unternehmensentwicklung, wie sie einerseits im Controllingsystem eines ordnungsgemäß geführten Unternehmens erwartet werden kann und andererseits im Rahmen der Prüfung der Going-Concern-Prämisse bei der Jahresabschlusserstellung vorgeschrieben ist. Weisen die vorstehend aufgeführten Indizien im konkreten Fall auf eine Krise der Gesellschaft hin, so kann die berechtigte Annahme der Unternehmensfortführung nicht mehr länger undokumentiert erfolgen. Diesbezügliche Konkretisierungen ergeben sich aus dem vom Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) aufgestellten Standard zur Prüfung der Fortführungsprognose (IDW PS 270). Fällt die Kreditunwürdigkeitsprüfung positiv aus, so ist im Anschluss die Erstellung einer dokumentierten Fortführungsprognose unerlässlich. Der Zeithorizont für eine Fortführungsprognose wird in der Literatur mit 12 Monaten nach dem Bilanzstichtag angegeben. Die berechtigte Annahme der Unternehmensfortführung ist im Zusammenhang mit der Aufstellung des Jahresabschlusses an jedem Stichtag generell erneut zu prüfen.

Insolvenzauslösetatbestände

Im Zentrum der gesetzlichen Insolvenzauslösetatbestände stehen die §§ 17, 18 und 19 der InsO. Nach § 17 InsO ist allgemeiner Eröffnungsgrund für ein Insolvenzverfahren die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, die dann gegeben ist, wenn dieser seine fälligen Zahlungspflichten nicht erfüllen kann. Nach der jüngsten Rechtsprechung des BGH (BGH vom 24.05.2005- IX ZR 123/04, DB 2005, S. 1887 ff.) ist von einer Zahlungsunfähigkeit dann widerlegbar auszugehen, wenn eine Liquiditätslücke von 10% oder mehr der fälligen Gesamtverbindlichkeiten vorliegt. Indizien für eine Zahlungsunfähigkeit sind insbesondere

· der Erlass von Mahn- und Vollstreckungsbescheiden, z.B. wegen nicht ausgeglichener Lieferantenverbindlichkeiten,

· Pfändungen, insbesondere durch das Finanzamt und Sozialversicherungsträger,

· Aufforderungen zur Abgabe bzw. Abgabe der eidesstattlichen Versicherung,

· Kreditkündigungen sowie

· rückständige Löhne von mehr als einem Monat.


Das Insolvenzauslösekriterium der drohenden Zahlungsunfähigkeit ist nach § 18 InsO dann gegeben, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Basis der Entscheidung ist eine zeitraumorientierte Prognose, die in der Praxis mit Hilfe eines zu erstellenden Finanzplans erfolgt. In diesem werden die zum Prognosezeitpunkt rechtlich verbindlichen Auszahlungen und Einzahlungen einander gegenübergestellt. Ergeben sich voraussichtliche Unterdeckungen zukünftiger Auszahlungen, so ist die drohende Zahlungsunfähigkeit gegeben.

Als weiteren Insolvenztatbestand nennt § 19 InsO die Überschuldung. Nach der Gesetzesformulierung liegt eine Überschuldung dann vor, wenn das Vermögen des Unternehmens die bestehenden Verbindlichkeiten nicht deckt. Dabei ist zu beachten, dass der Übergang von den Kreditunwürdigkeitsindizien zu den gesetzlichen Insolvenzauslösetatbeständen in der Praxis oftmals fließend ist. Unter Haftungsgesichtspunkten müssen die Organmitglieder ein besonderes Augenmerk auf diese Problematik legen, um die notwendige und rechtzeitige Stellung des Insolvenzantrags nicht zu versäumen. Daher ist es sinnvoll, neben der schon bei der Krisenidentifikation notwendigen Verknüpfung mit der Unternehmensplanung im Controllingsystem die genannten kritischen Kennzahlenausprägungen

· Liquiditätslücke von 10% oder mehr der fälligen Gesamtverbindlichkeiten und

· Vermögen des Unternehmens unterschreitet unter Beachtung der stillen Reserven die bestehenden Verbindlichkeiten

im Rahmen des Risikomanagementsystem (RMS) auf aktueller und prospektiver Basis zu kommunizieren. Auch bei Vorlage der gesetzlich geregelten Insolvenzauslösetatbestände bedarf die Annahme der Going-Concern-Prämisse gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB einer Überprüfung.

Konzeption der Krisendagnose

Konzeptionell ist die Krisendiagnose integraler Bestandteil des Frühwarnsystems und kann als deren Ergebnis verstanden werden. Durch Frühwarninformationen sollen die Entscheidungsträger mögliche Gefährdungen (Risiken) mit zeitlichem Vorlauf signalisiert bekommen und damit in die Lage versetzt werden, noch rechtzeitig Gegenmaßnahmen zur Abwehr oder Minderung der signalisierten Gefährdung zu ergreifen. Ausgehend von der Erkenntnis, dass insb. auf sich schnell verändernden Märkten und Umfeldern neben der rechtzeitigen Ortung von Bedrohungen für eine erfolgreiche Unternehmensführung aber auch das Erkennen von Chancen eine herausragende Bedeutung hat, wurden Frühwarnsysteme zu Früherkennungssystemen weiterentwickelt. Systeme, die über die Früherkennung hinaus auch die Sicherung der Planung und die Realisation von Reaktionsstrategien oder Gegenmaßnahmen ermöglichen, werden oft auch als Frühaufklärungssysteme bezeichnet. Da die verschiedenen Entwicklungsgenerationen als Weiterentwicklungen gesehen werden können, die die Erkenntnisse der jeweils vorherigen Generation nicht verdrängen, sondern lediglich ergänzen, kommen konzeptionell indikator-, modell-, analyse-, informationsquellen- und netzwerkorientierte Ansätze nebeneinander für den Einsatz in der Krisendiagnose in Betracht.


Strategische Krisendiagnose

Um eine möglichst lange Reaktionszeit auf sich anbahnende Krisen zu sichern, muss die Krisendiagnose bereits im Rahmen der strategischen Unternehmensführung (strategisches Controlling) einsetzen, wo etwa die Lückenanalyse (Gap-Analyse) die Abweichungen zwischen der erwünschten und erwarteten Entwicklung aufzeigt, aber aufgrund der Eindimensionalität und reinen Extrapolationsbasierung nur erste Signale geben kann. Sie ist daher zu ergänzen um weitere strategische Instrumente, wie Potenzialanalysen, Portfolioanalysen, Wertschöpfungsketten oder PIMS-Modelle. Besondere Schwierigkeiten bestehen bei der Identifizierung und Berücksichtigung von Risiken, die noch keinen offensichtlichen Einfluss auf die Unternehmenslage haben, jedoch bei strategischen Betrachtungen durchaus Relevanz erlangen könnten. Diese sog. schwachen Signale (Ansoff 1976, S. 129-152) sind qua Definition höchst unbestimmt und unsicher, müssen aber dennoch beobachtet werden, um bei Verstärkung als Frühwarninformation im Rahmen des Risikomanagementsystems eingesetzt zu werden. Grundproblem bleibt die Identifizierung derartiger Signale, die durch die Chancen-/Anfälligkeitsanalyse als wichtigsten Baustein des strategischen Managements zu unterstützen sind, und ein (gedankliches) Modell des in sein Umfeld eingebetteten Unternehmens voraussetzt. Erst dann können Ereignisse als relevant bzw. als Chancen oder Bedrohungen identifiziert werden.


Operative Krisendiagnose

Instrumentelle Basis der kurzfristigen Krisendiagnose sind einerseits auf Betragsschätzungen abstellende Prognoseverfahren (Erfolgsprognose) (X), wobei einerseits Schwellenwerte zu definieren sind, ab denen eine Krise anzunehmen ist, und andererseits Ereignisprognosen. Bei Letzteren wird nur eine Aussage über einen möglichen Zukunftszustand in der Gestalt getroffen, ob eine Krise vorliegt oder nicht. Hierbei werden über diskriminanzanalytische, regressionsanalytische und Mustererkennungs-Verfahren (Diskriminanzanalyse) bestimmte Cut-off-Werte zur möglichst frühzeitigen Klassifikation einer Krise mathematisch oder iterativ über neuronale Netze bestimmt (Prognoseinstrument). Die Prognoseverfahren werden dabei als Erklärungsmodelle verstanden, die Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen Modellvariablen aufzeigen.


Literaturtipps

· Ansoff, H. I.: Managing Surprise and Discontinuity: Strategic Response to Weak Signals, in: ZfbF 28 (1976), S. 129-152.

· Fink, S.: Crisis Management. Planning for the Inevitable, Boston 1986.

· Frege, M./ Keller, U. /Riedel, E.: Handbuch der Rechtspraxis: 3. Insolvenzrecht, 7. Aufl., München 2008.

· Hahn, D.: Frühwarnsysteme, Krisenmanagement und Unternehmensplanung, in: ZfB 49 (1979), Ergänzungsheft 2, S. 25-46.

· Kirsch, W./Trux, W.: Strategische Frühaufklärung und Portfolio-Analyse in: ZfB 49 (1979), Ergänzungsheft 2, S. 46-69.

· Krystek, U.: Unternehmungskrisen: Beschreibung, Vermeidung und Bewältigung überlebenskritischer Prozesse in Unternehmungen, Wiesbaden 1987.


Ersteinstellender Autor

Prof. Dr. Stefan Müller

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