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Früh- und Spätindikatoren

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Im Zusammenhang mit Krisen ertönt regelmäßig der Ruf nach geeigneten Frühindikatoren bzw. einem Frühwarnsystem. Es wäre doch gut, von den Ereignissen nicht vollkommen überrascht zu werden. Mitunter wird daran der Glaube geknüpft, irgendein gut durchdachtes „System von Kennzahlen“ könnte den Menschen die Verantwortung abnehmen für die strategische Achtsamkeit (s. QZ 01/2011). Leider erweist sich das spätestens bei der nächsten Krise als Illusion. Ob eine Kennzahl zu einem Indikator wird und ob der Indikator für ein Frühwarnsystem genutzt werden kann, hängt davon ab, in welchem Maße aktiv oder passiv mit verfügbaren Daten umgegangen wird.

Zunächst ist eine Kennzahl unabhängig davon, ob sie indikativ genutzt werden soll oder nicht: ein bloßes Datum – eine Zahl. Im ersten Schritt muss dieser Zahl eine Bedeutung zugeordnet werden, damit sie überhaupt zu einer Information wird. Solange die Zahl nicht verstanden ist, bleibt sie ohne Wirkung.

Beispiel: Sie werden Mitglied in einem Team, das die Unternehmensführung auf ökonomischen Gewinn ausrichten soll (s. QZ 10/2010) und erhalten Einblick in ein Basis-Papier. Darin können Sie lesen, dass im Unternehmen mit einem β-Faktor von 1,203 gerechnet wird. Sofern Sie nicht wissen, was ein β-Faktor ist und niemand es Ihnen erklärt, können Sie mit der Zahl nichts anfangen. Erst wenn Sie erfahren, dass der β-Faktor als Maß dafür dient, ob das Geschäft Ihres Unternehmens mit einem größeren (β-Faktor > 1) oder kleineren (β-Faktor < 1) Risiko belastet ist als vergleichbare Unternehmen, können Sie der Zahl eine Bedeutung geben. Nun erhalten Sie die Information, dass Ihr Unternehmen davon ausgeht, mit einem um mehr als 20% höherem Risiko umgehen zu müssen als der Wettbewerb.

Wenn aus einer Kennzahl ein Indikator werden soll, muss in einem zweiten Schritt die erhaltene Information in den Kontext jener Geschäftsvorfälle eingeordnet werden, die ihr zugrunde liegen.

Beispiel: Ursprünglich lag der β-Faktor Ihres Unternehmens bei 1,31. Das hat historische Ursachen, die mit den Umständen der Gründung zusammenhängen (die Wettbewerber haben einfach schon über längere Zeiten treue Stammkunden, die Sie sich erst aufbauen müssen; dadurch schwankt Ihr Auftragseingang in deutlich stärkerem Maße und der Zahlungseingang ist weniger zuverlässig – entsprechend ist Ihr Geschäft mit einem höheren Risiko verbunden). Vor einem Jahr wurden nun verschiedene Maßnahmen eingeleitet, um das Risiko schrittweise dem Niveau der Wettbewerber anzunähern. Aus diesem Kontext heraus wird die Information der Kennzahl zu einem Indikator dafür, dass Sie sich erfolgreich auf den Weg gemacht haben. Sie sind noch nicht am Ziel, haben aber schon ein Drittel des Weges bewältigt.

Solange sich der Kontext auf vergangene Geschäftsvorfälle bezieht, erhält die Information der Kennzahl den Charakter eines Spätindikators. In einem weiteren Schritt kann nun der Indikator mit einen Kette von Annahmen verbunden werden, die in die Zukunft weisen.

Beispiel: Sie gehen davon aus (Annahmekette), dass Ihr Unternehmen durch das gesunkene Risiko in ein besseres Rating Ihrer Hausbank eingestuft werden kann und sich dadurch nicht nur die Konditionen sondern generell die Möglichkeiten künftiger Kreditaufnahmen für Investitionen verbessern. Außerdem gehen Sie davon aus, dass sich ein gesunkenes Risiko auch in sinkenden Kapitalkosten niederschlägt. Das alles verbessert Ihre Spielräume z.B. für ein erweitertes Kundenbindungsprogramm.

Durch die Annahmeketten verwandelt sich die Information der Kennzahl in einen Frühindikator. Mit der Information werden nun Hoffnungen oder Ängste bzw. Befürchtungen verbunden – je nach Entwicklung der Zahl und dem Inhalt der Annahmen. Die Güte eines Frühindikators hängt von verschiedenen Faktoren ab; z.B.:

  • Wie fundiert ist die verwendete Annahmekette oder handelt es sich eher um Behauptungen bzw. Wünsche?
  • Beruht die Kette auf eigenen Erfahrungen oder liegen ihr rein theoretische Ableitungen zugrunde?
  • Werden die Annahmen aufgrund fremder Empfehlungen („Rat-Schläge“) verwendet oder gründen sie in eigenen Entscheidungen?
  • Ist die verwendete Kette im gesamten Unternehmen kommuniziert und von allen verstanden oder wissen nur wenige „Experten“, worum es geht?

Zurück zur Krise. Kann sie mithilfe von Frühindikatoren rechtzeitig vorher erkannt werden? Schließlich weiß jedes Kind, dass einer bewältigten Krise immer eine nächste folgt. Nur, wann das sein wird, wer betroffen ist welches Ausmaß sie annimmt und wie sie verlaufen wird, ist eher ungewiss. Außerdem waren alle größeren Krisen mit unerwarteten Elementen verbunden, die es vorher noch nicht gegeben hat. Die Erschütterungen der Jahre 2008/2009 bspw. lagen u.a. daran, dass das Ausmaß der wechselseitigen Abhängigkeit und internen Verflechtungen des internationalen Finanzwesens nicht wirklich bekannt war und daher das Tempo und die globale Gleichzeitigkeit der Wirkungen einer einzigen – und isoliert betrachtet nicht einmal sehr gravierenden – Pleite (Lehman Brothers) vollkommen überraschend kam. Wenn aber auf diese Weise Annahmeketten entweder gar nicht erkennbar sind oder durch die Ereignisse obsolet werden, haben Frühindikatoren dann überhaupt einen Sinn? Sofern es nur darum ginge, Zeitpunkt, Betroffenheit, Ausmaß und Verlauf einer Krise zu prognostizieren, hätten Frühindikatoren in der Tat nicht viel Sinn. Dennoch ist das – wie so oft – nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte besteht darin, dass jede Krise auch viele Ungleichgewichte, Versäumnisse und Ungereimtheiten ans Tageslicht bringt, die vorher durch gute Geschäfte kaschiert wurden. Hier ist die Krise nur der Auslöser und nicht die Ursache der offenbarten Probleme. Und genau an dieser Stelle können geeignete Frühindikatoren ausgesprochen hilfreich sein.

Wenn z.B.

  • allzu große Umsatzmöglichkeiten dazu verleiten, innovative Projekte zugunsten kurzfristiger Kapazitätsausweitungen zu verschieben (die „Anzahl neuer Ideen in der Pipeline“ geht zurück; der „Anteil Mitarbeiter mit regelmäßigem, direkten Kundenkontakt“ wird geringer);
  • der Arbeitsdruck die Vernachlässigung von Qualitäts-Entwicklung und -Sicherung zur Folge hat (die „Fehlerkosten“ steigen; die „Alleinstellungsmerkmale“ gegenüber dem Wettbewerb nehmen ab; der „Anteil der Aufwendungen für Marktbeobachtung“ sinkt);
  • zur besseren Schichtauslastung Weiterbildungsmaßnahmen gestrichen werden (der „Anteil Weiterbildungsstunden an den Gesamtstunden“ sinkt; der „Erfüllungsgrad der Kompetenz- bzw. Anforderungsprofile“ geht zurück);
  • die Chance auf schnelles Geld dazu (ver)führt, dass durch Fusionen, Zukäufe, Neubauten oder ähnlichen Maßnahmen Flexibilität verloren geht (der „Anteil Strukturkosten an den Gesamtkosten“ nimmt zu; die „Zeit für die Überwindung unternehmensinterner Widerstände“ steigt; die Relation von „Rohertrag zu Personalkosten“ sinkt);
  • zur Gegensteuerung eine Variabilisierung von Kosten durch Aufgabe von Kernkompetenzen erfolgt (der „Anteil der Stammbelegschaft“ nimmt ab, der „Outsourcing-Grad wesentlicher Entwicklungsleistungen und Zulieferungen“ nimmt zu)
  • Finanzkonstruktionen zusätzliches Renditepotenzial erschließen sollen, das mit schwer kalkulierbaren Risiken verbunden ist (die „Rate der nicht betriebsnotwendigen Finanzanlagen“ steigt; der „Anteil derivativer Wertpapiere im Umlaufvermögen“ nimmt zu).
  • die Fremdfinanzierungs-Rate des Wachstums zunimmt (der „Verschuldungsgrad“ steigt).
  • Gewinnausschüttungen (teilweise) über Kredite finanziert werden (der „Finanzierungsmix“ verschlechtert sich);

dann mögen vielleicht einzelne dieser Signale keine Gefahr bedeuten. Aber dennoch und vor allem in geballter Form sollten sie als mögliche Anzeichen für grundlegende Verwerfungen ernst genommen werden.

In der Praxis haben eine Reihe von Unternehmen weitere Kenngrößen entwickelt, die entstehende Probleme bereits frühzeitig anzeigen. Einige Beispiele sollen hier genannt werden:

  • Kundenanteil:

Wenn Kunden beginnen, ihren Bedarf stärker bei Wettbewerbern zu decken, sinkt der Kundenanteil des eigenen Unternehmens. Rückgänge im Kundenanteil werden oft überdeckt von weiter anhaltendem Umsatzwachstum, sofern eine steigende Anzahl an Kunden diesen Effekt kompensiert. Wer da nicht hinsieht, verpasst die Chance frühzeitiger Achtsamkeit.

  • Relation zwischen Umsatzpotenzial und Umsatz:

Die parallele Beobachtung der Entwicklung von Umsatzpotenzial und Umsatz schärft den Blick für die Chancen und Risiken des Unternehmens. Wenn das Umsatzpotenzial deutlich schneller steigt als der Umsatz, entstehen Räume, die von Wettbewerbern gefüllt werden können. Wenn demgegenüber das Umsatzpotenzial nicht mehr steigt oder deutlich langsamer als der Umsatz, deutet sich der Wendepunkt in der Lebenskurve der tragenden Idee des Unternehmens an.

  • Gewichtete Kundenfluktuation:

Viele Unternehmen differenzieren nach der Kundengüte: Welche Position besteht gegenüber dem Kunden? Ist das eigene Unternehmen ein strategischer Partner des Kunden, ein bevorzugter Lieferant? Wenn die Verweildauer strategischer Partner sinkt, ist Gefahr im Verzug.

  • Gewichtete Lieferantenfluktuation

Hier gilt es wie bei den Kunden, das strategische Profil im Auge zu behalten. Welchen Status hat das Unternehmen bei seinen Lieferanten? Ist es der bevorzugte Kunde, der auch dann noch beliefert wird, wenn es eng wird?

  • Reputation

Die Unternehmensreputation gibt den Ausschlag dafür, wie werthaltig ein Leistungsangebot ist. Sie beeinflusst zugleich die Wert-Schätzung der Menschen auf dem Arbeits- und Bildungs-Markt, dem Einkaufs-Markt sowie den Märkten für Finanz-Dienstleistungen und Fördermittel. Deshalb ist sie so ausschlaggebend für die Fähigkeit des Unternehmens, sich innerhalb des Kosten-Korridors zu bewegen, der die für nachhaltige Wirtschaftlichkeit erforderliche Rentabilität gewährleistet. Die Achtsamkeit für Indikatoren der Reputation (z.B. spontane Anfragen, Warteliste von Kunden, Blindbewerbungen, Kooperationsangebote, Medien-Nachfrage und -Resonanz) führt somit ebenfalls zu sehr frühen Signalen für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens.

  • Marktanteilsabstand zum besten Wettbewerber

Der Marktanteil ist eine anerkannte strategische Kenngröße. Es ist jedoch genauso wichtig, den Abstand zum besten Wettbewerber zu beobachten. Der beste Wettbewerber ist meist in der Lage, die Regeln oder zumindest einen Teil davon zu bestimmen. Andererseits sind die Kunden bei zu starken Ungleichgewichten bestrebt, Alternativen zur Verfügung zu haben, um nicht von nur einem Anbieter abhängig zu sein. Verschiebungen in den Positionen deuten mögliche Spannungen an, weit bevor sie offen zum Ausbruch kommen.

  • Relation zwischen Auftragseingang und Produktivitätswachstum

Produktivitätswachstum ist ein strategisches „Muss“, um im Wettbewerb zu überleben. Allerdings setzen Verbesserungen der Produktivität Kapazitäten frei, die – sofern sie nicht genutzt werden – einerseits Tendenzen zur Verschwendung und andererseits Unsicherheit über den Bestand der Arbeitsplätze begünstigen. Erfolgreiche Unternehmen steuern ihr Produktivitätswachstum daher nie unabhängig vom Auftragseingang; letzterer sollte immer etwas schneller wachsen als die Produktivität.

Die angeführten Beispiele sollen verdeutlichen, dass es genügend Möglichkeiten gibt, Signale für eine abnehmende Wettbewerbsfähigkeit rechtzeitig aufzunehmen und daraus ein Frühwarnsystem hoher Güte zu errichten. Dann besteht zumindest die Chance, selbstbestimmt zu agieren. Wer jedoch den Zeitpunkt verpasst, für den kann es schnell eng werden.


Ersteinstellende Autoren

Walter Schmidt, www.scorecard.de [1]

Rainer Vieregge, www.4egge4you.de [2]